Interview mit Prof. Roman Blaheta, Universitätsklinikum Frankfurt/Main, Klinik für Urologie
Amygdalin in der Krebstherapie – hoch-wirksam oder unseriöses Wundermittel?
Prof. Roman Blaheta geht mit Unterstützung der Stiftung für Heilung und Gesundheit der Frage nach, ob Amygdalin ein hochwirksames Mittel in der Krebstherapie sein kann. Seine wissenschaftliche Neugier wurde von dem Disput von Befürwortern und Gegenern dieses pflanzlichen Stoffes geweckt.
Bitte stellen Sie sich uns kurz vor.
Nach dem Studium der Biologie, Geographie und Pharmakologie habe ich mich sehr rasch der Medizin zugewendet. Schon damals war es mein Ziel, mich wissenschaftlich der Tumortherapie zu widmen. Durch einen glücklichen Zufall landete ich in der Abteilung für Chirurgie der Goethe-Universität Frankfurt, wo mich ein sehr engagierter Kliniker für das Thema „Lebererkrankungen“ begeistern konnte. Über einen nachfolgenden Wechsel an das Institut für Virologie konnte ich virologische Fragestellungen aufgreifen und mit der Immunologie in Bezug setzen. Dann wurde mir eine interessante Stelle in der Urologie angeboten, in der nun urologische Tumore in meinem Fokus stehen. Insgesamt haben mir die wissenschaftlichen Verknüpfungspunkte innerhalb des Universitätsklinikums entscheidend geholfen, ein umfangreiches Wissen zu erlangen und zu lernen, über den Tellerrand hinaus zu blicken.
An Amygdalin scheiden sich die Geister. Was macht den Stoff für Sie als Wissenschaftler so interessant?
Viele natürliche Pflanzeninhaltsstoffe werden neutral bewertet, im Sinne von „es hilft nichts, aber es schadet auch nichts“. Bei Amygdalin ist das ganz anders. Hier gibt es nur zwei extreme Positionen. Befürworter betrachten Amygdalin als hoch-wirksames Mittel zur Behandlung von Tumorerkrankungen und verweisen auf Heilungserfolge, Gegner sehen in Amygdalin ein unseriöses Wundermittel und warnen vor lebensgefährlichen Vergiftungen durch gebildete Blausäure. Beide Seiten diskutieren recht unsachlich, da detaillierte Informationen zu diesem Stoff gar nicht vorliegen und Quellen aus dem Internet zumeist als äußerst fraglich einzustufen sind. Gefährlich ist auch die Vermengung der Begriffe „Aprikosenkerne“, „Amygdalin, „Laetril“ und „Vitamin B17“.
…und dies hat Ihren Forscherdrang geweckt?
Genau. Gerade diese Diskrepanz zwischen Meinungsäußerung und Nichtwissen macht die Sache wissenschaftlich interessant. „Interessant“ trifft es aber nicht ganz. Aus dem Nichtwissen erwächst ja auch eine Verantwortung. Bedenken Sie, dass unzählige Patienten Amygdalin als Tablette oder Pulver einnehmen und unzählige Praxen Amygdalin-Infusionen anbieten. Ich persönlich werde von Patienten immer wieder mit den gleichen Fragen konfrontiert: „Hilft Amygdalin?“ und „ist Amygdalin gefährlich?“ Diese Unsicherheit kann nicht hingenommen werden. Zum Wohle des Patienten muss hier sachliche Aufklärungsarbeit geleistet werden. Der Wissenschaftler ist hier herausgefordert. Die zahlreichen Emails an mich zeigen ja, dass hier enormer Nachholbedarf besteht.
Ob Amygdalin in der Krebstherapie nutzt oder schadet, das möchten Sie herausfinden. Eine Vorstudie lässt weitere Forschung sinnvoll erscheinen – warum?
Tatsächlich zeigen unsere Vorstudien drastische anti-tumorale Effekte von Amygdalin. In dieser Deutlichkeit hatten wir nicht mit solchen Ergebnissen gerechnet. Aber – jetzt kommt dieses berühmte „aber“ – diese Ergebnisse wurden an isolierten Tumorzellen unter genau vorgegeben Laborbedingungen erzielt. Der Wissenschaftler spricht hier von in vitro Studien. Wir konnten zwar recht genau die Vorgänge in der Tumorzelle nach Amygdalinbehandlung untersuchen, die Studien lassen sich aber keinesfalls auf den Patienten übertragen. Die Situation und Abläufe sind ja hier viel komplexer. Gerade deswegen ist es sinnvoll und geboten, die Studien auszudehnen. Die im Labor gewonnenen Erkenntnisse müssen nun gewissermaßen auf den Alltag, also die realen Gegebenheiten, übertragen werden. Im Prinzip geht also die Forschung jetzt erst richtig los. Wir haben ja noch nicht beantwortet, ob Amygdalin giftig ist und ob es überhaupt beim Patienten wirkt.
Der übliche Weg der Arzneimittelforschung hat die Stationen Zelle, Tier, Mensch – wo stehen Sie derzeit?
Richtig, anhand der Zellkulturversuche haben wir deutliche Effekte von Amygdalin nachgewiesen. Wir haben bereits die nächste „Station“ erreicht und mit Tierexperimenten begonnen. Tatsächlich sind die im Zellkulturmodell erarbeiteten Daten zwar äußerst positiv, müssen aber nun auf den Gesamt- Organismus übertragen werden. Wichtig ist, die Stationen dürfen nicht separat betrachtet werden, sondern müssen sich sinnvoll ergänzen. Haben wir im Zellmodell in das Innere der Zelle geschaut, so geht es jetzt darum, die Giftigkeit von Amygdalin zu überprüfen. Dazu müssen wir den Blausäuregehalt im Blut messen. Auch sind Fragen zu klären, ob Amygdalin die Tumormetastasierung hemmt. Das geht nur im Tiermodell. Eine Patientenstudie haben wir gleichzeitig abgeschlossen. Auch hier wollten wir wissen, ob Amygdalin zu einer Anreicherung von Blausäure im Blut führt und ob hier Gefahren für den Patienten entstehen. Wir fahren also mehrgleisig. Bei allem muss berücksichtigt werden, dass Amygdalin derzeit vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als bedenklich eingestuft ist. Wir dürfen daher keinesfalls ohne genaue rechtliche Abklärung und Prüfung durch die Ethikkommission Studien am Menschen starten. Hier kommen wir nur in Trippelschritten voran. Da ist wirklich viel Engagement, Beharrlichkeit und Einsatz gefragt.
Gibt es bestimmte Krebsarten, bei denen der Stoff hauptsächlich eingesetzt werden könnte?
Das ist schwierig zu beantworten. Nach unseren in vitro Studien scheint ja Amygdalin prinzipiell zu wirken. Es gibt aber sicherlich Anwendungsmöglichkeiten, bei der die lokale, also nicht systemische Applikation von Amygdalin ausreichen könnte. Wir diskutieren derzeit die Option, Amygdalin bei Blasentumorerkrankungen in Form einer Blasenspülung anzuwenden. Hauttumore lassen sich eventuell mit einer Amygdalincreme oberflächlich behandeln - das ist aber alles noch sehr theoretisch.
Warum gibt es eine negative Stellungnahme zu Amygdalin vom Bundesinstitut für Arzneimittelmittel und Medizinprodukte (BfArM)?
Ich hatte mich darüber mit BfArM unterhalten. Das Problem liegt darin, dass es keine richtige, d.h. den wissenschaftlichen Kriterien genügende Patientenstudie zu Amygdalin gibt. Aus den frühen 60er Jahren des letzten Jahrhunderts liegen Publikationen vor, die von einem guten Ansprechen unter Amygdalin berichten. Diese Berichte sind aber sehr fragwürdig. Im Jahr 1982 wurde vom amerikanischen National Cancer Institut (NCI) eine Studie zur Bewertung von Amygdalin in Auftrag gegeben. Demnach ergab sich unter Amygdalin weder in Bezug auf Heilung, Stabilisierung, Symptomverbesserung noch auf die Überlebenszeit eine Verbesserung. Auch diese Studie ist als fraglich einzustufen. Dies wurde mir von BfArM so bestätigt. Da aber keine weiteren Daten vorliegen, ist das BfArM mehr oder weniger gezwungen, bei ihrer Stellungnahme auf diesen wissenschaftlich fehlerhaften Bericht zurückzugreifen. Ähnliches gilt für die Einstufung als „bedenkliches Arzneimittel“. Das BfArM räumt ein, dass zumindest bei intravenöser Gabe von Amygdalin nicht mit einem Anfluten von Blausäure zu rechnen ist, hier somit keine Gefahr für die Patienten bestehe. Dennoch ist das Fazit des Instituts negativ gehalten. Die Situation ist paradox.
Möglicherweise ist auch der Druck „von außen“ sehr groß. Tatsächlich warnen ja in regelmäßigen Abständen die Medien, sei es das Fernsehen, seien es offizielle Mitteilungen oder sonstige Zeitschriften, vor ernsten Vergiftungserscheinungen bis hin zu tödlichen Zwischenfällen. Es ist sehr schwer, hier etwas Sachliches entgegenzusetzen. Richtig ist, dass in der Tat Todesfälle in der Literatur beschrieben sind, richtig ist aber auch, dass diese Todesfälle in der Regel auf eine Überdosierung von Amygdalin zurückzuführen sind. Oft treten Vergiftungserscheinungen nach massiver Einnahme von Aprikosenkernen auf. Hier liegt die Ursache darin, dass – im Gegensatz zum aufgereinigten Amygdalin – Enzyme beim Zerkauen der Kerne freigesetzt werden, die dann einen raschen Abbau von Amygdalin mit Bildung von Blausäure einleiten.
So drehen wir uns im Kreis. Denn die Schlussfolgerung lautet: Mehr Forschung wagen. Nur durch intensive Forschungsarbeit können wir sachlich der Frage nachgehen, ob Amygdalin nun Heilmittel oder Schwindel ist.
Wie wird Ihre Forschung finanziert?
Pro Jahr müssen hohe fünfstellige Eurobeträge in die Amygdalinforschung gesteckt werden. Diese Summe wird nicht über die Universität bereitgestellt, so dass wir uns aktiv um Zustiftungen und Spenden bemühen. Wir sind außerordentlich dankbar darüber, dass uns Stiftungen hier weitergeholfen haben bzw. uns weiterhelfen. Von Seiten der Pharmaindustrie besteht leider kein Interesse zur Forschungsförderung. Das liegt daran, dass Amygdalin als Natursubstanz nicht patentiert werden kann, so dass industriell kein Nutzen aus der Substanz gezogen werden kann. So freuen wir uns über jede Hilfe und sind immer wieder bereit, Interessierte in unser Labor einzuladen und unsere Tätigkeit vorzustellen.
Wenn Sie diese Forschung unterstützen möchten, freuen wir uns über Ihre Spende.
An der Goethe Universität Frankfurt am Main werden natürliche Wirkstoffe für die Krebstherapie untersucht. Die Stiftung für Heilung und Gesundheit unterstützt dieses Projekt und bittet Sie, mit Ihrer Spende diese wichtige Forschung zu ermöglichen. Die Kosten dafür liegen bei rund 580.000,- Euro je Wirkstoff. In Summe benötigen wir rund 3 Millionen Euro für die Umsetzung des gesamten Projekts. Da die Stiftung diesen Betrag nicht aus eigenen finanziellen Mitteln finanzieren kann, bitten wir Sie um Unterstützung.
Forschungsprojekte
An der Klinik und Poliklinik für Urologie und Kinderurologie der Universität Frankfurt wird Grundlagenforschung in der Krebstherapie durchgeführt. Die Stiftung für Heilung und Gesundheit unterstützt Projekte mit Amygdalin, Curcuma, Mistelextrakt, Sulforaphane, einsekundärer Pflanzenstoff, und Traubenkernextrakt. Erste Grundlagen sind bereits erforscht. Leitfäden zu den Forschungsprojekten sind erstellt. Die Vorbereitungen sind getroffen und die Forschungen können beginnen.Die Forschungen können nach Angaben des wissenschaftlichen Leiters innerhalb von 1,5 bis 2 Jahren je Wirkstoff abgeschlossen werden.
Hintergrund
60 bis 80 Prozent der Krebspatienten wünschen sich neben ihrer konventionellen onkologischen Behandlung den Einsatz naturheilkundlicher Therapien, besagen Umfragen. Die begleitenden Verfahren müssen jedoch gezielt eingesetzt und in dem gesamten Therapiekonzept berücksichtigt werden. Naturheilkundliche Mittel können etwa die Nebenwirkungen einer Chemotherapie oder Bestrahlung lindern, die körpereigenen Selbstheilungskräfte stärken und die Krankheitsbewältigung unterstützen. Sie sollen nicht die konventionelle Behandlung ersetzen - jedoch fehlt es an Forschung in diesem Bereich.